Der Geruch des Paradieses by Elif Shafak

Autor:Elif Shafak [Shafak, Elif]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Kein & Aber AG
veröffentlicht: 2016-09-13T11:00:06+00:00

Der Optimierer

istanbul/oxford, 2001

Das erste Trimester ging turbulent zu Ende. Peri verbrachte die Weihnachtsferien zu Hause und redete sich ein, der Gesundheitszustand ihres Vaters hätte sich nicht verschlechtert und der Waschfimmel ihrer Mutter wäre nicht zur Manie ausgeartet. Das ganze Haus roch nach Bleichpulver und Kölnischwasser mit Zitronenduft. Auf jedem Heizkörper trockneten Kleidungsstücke, deren Muster und Farben durch das häufige Waschen kaum mehr erkennbar waren. Unter ihnen sammelten sich kleiner Wasserlachen, als wären die Tropfen Tränen der Wehmut.

Am 31. Dezember hockten Vater und Tochter abends vor dem Fernseher, aßen geröstete Kastanien und sahen sich die Darbietung einer Bauchtänzerin an – Mensurs traditionelle Art, den Beginn des neuen Jahres zu feiern. Selma war wie immer früh in ihr Zimmer gegangen, aber nicht um zu schlafen, sondern um zu beten. Da sowohl Umut als auch Hakan nicht mehr zu Hause wohnten, saßen ganz wie früher nur mehr Vater und Tochter zusammen. Sie redeten so wenig, als wäre das Schweigen für sie eine eigene Sprache. Die Vater-Tochter-Rituale hatte Peri am allermeisten vermisst – lange Spaziergänge am Meer, menemen kochen, am Kartentisch neben dem Kaktus im Fenster Backgammon spielen.

Eine Woche später kehrte sie nach Oxford zurück, und das Frühlingstrimester begann mit neuer Hoffnung und neuen Entscheidungen: Peri würde sich einen Nebenjob suchen, doch zuerst vereinbarte sie einen Termin mit ihrem Studienberater. Sie wollte mehr über Professor Azur herausfinden.

Dr. Raymond trug eine Drahtbrille und wirkte so zerstreut, als würde er ständig quadratische Gleichungen im Kopf lösen. Er war klein und hatte einen breiten Unterkiefer. Jedem Studenten, der sich von ihm beraten ließ, gab er dieselbe Empfehlung: Stellen Sie einen Seminarplan zusammen, der Ihre intellektuellen Ressourcen perfekt optimiert. Die Studenten revanchierten sich, indem sie ihm den Spitznamen Sir Optimierer verpassten.

Dr. Raymond und Peri sprachen ausführlich über die Frage, welche Seminare sie im zweiten Studienjahr belegen sollte. Groß war die Auswahl nicht. Der Studiengang beinhaltete ziemlich feste Vorgaben, an denen nur Kleinigkeiten geändert werden konnten.

»Es gibt da ein Seminar, das ich gern besuchen würde, weil alle es sehr gut finden«, sagte Peri forsch. »Na ja, alle ist übertrieben. Eine Freundin von mir.«

Dr. Raymond nahm seine Brille ab. »Und um welches Seminar handelt es sich?«

Er hatte im Laufe der Jahre immer wieder erlebt, dass Studenten ihren Kommilitonen schlechte Tipps gaben. Was für den einen funktionierte, erwies sich für den anderen als fatal. Zudem änderte sich die Meinung der jungen Leute so häufig wie ihre Lieblingssongs. Das Seminar, von dem sie zu Trimesterbeginn begeistert waren, wurde am Ende vernichtend kritisiert. Während seiner dreiundzwanzig Jahre als Fellow am College war er zu der Ansicht gelangt, dass man den Studenten besser nicht zu viele Alternativen bot. Eine große Auswahl konnte nur verwirren.

Ohne etwas von den Gedanken zu ahnen, die ihrem Studienberater durch den Kopf gingen, sprach Peri weiter. »Es ist ein Seminar über Gott. Der Professor heißt Azur. Kennen Sie ihn?«

Dr. Raymond zog den bis dahin zu einem starren Lächeln gebogenen Mund kaum merklich nach unten. Nur das winzige Zucken einer Augenbraue verriet sein Unbehagen. »Nun, ich habe von ihm gehört. Wer

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